«Das Geheimnis der Olma»

Ein Text von Josef Osterwalder

«Was suchen die Besucher?»

Erfolg nicht von ungefähr

Nach der Messe zur Messe

Weder die wirtschaftliche Krise noch die allüberall spriessenden Einkaufszentren können ihr etwas anhaben. Sie scheint unverwüstlich zu sein – morgen geht die 67. Olma zu Ende. 

Volle Hallen, pralle Einkaufstaschen, Begeisterung beim Säulirennen und beim Abendschoppen ein Stimmengewirr, als ob tausend Rapper auf einmal loslegten – die Olma verläuft einmal mehr im vertrauten, das heisst im erfolgreichen Rahmen.

Was ist es, das sie so attraktiv macht? Bei Anbietern erhält man Antworten wie «die Messe ist unheimlich gut besucht», «die Leute sind aufgestellt», «die Besucher wollen sich etwas gönnen». Manche Aussteller haben ihre Kunden eigens angeschrieben, die Olma wird zum Jahrestreffen: Nächstes Jahr, gleicher Ort, gleiche Zeit.

Ausstellen, Vorstellen, Darstellen, dies ist der Part der Aussteller; im Stöbern, Schnuppern, Degustieren besteht die Rolle des Besuchers. Doch warum löst er ein Billett, nur um in den Hallen auf jene Produkte zu stossen, die er auch im Einkaufszentrum oder im Internet finden könnte?

«Was suchen die Besucher?»

Die Frage hat schon vor 40 Jahren den Olma-Berichterstatter des Tagblatts beschäftigt.

Schon damals kamen ihm die alljährlichen Besucherscharen wie ein kleines Wunder vor: «Was eigentlich will der einheimische und der fremde Besucher an der Olma sehen?» Um das herauszufinden, heftet er sich den Gästen an die Ferse, kommt aber zu einem recht diffusen Ergebnis: «Man kommt zum Schluss, dass der durchschnittliche Besucher bei diesem Schweifen nichts Bestimmtes im Sinne hat. Er besucht die Olma einfach so – weil es zur Tradition gehört, und weil sie so etwas wie ein Volksfest ist, dessen Atmosphäre und Strahlungskraft man sich unbeschwert hingibt.»

Erfolg nicht von ungefähr

«Einfach so»? – Hinter der so eigenen Atmosphäre muss wohl doch etwas Besonderes stecken. Der Erfolg kommt nämlich nicht von ungefähr.

Die Olma pflegt drei Eigenschaften, die ihn zumindest teilweise erklären: Erstens ist die Messe auf die Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet; zweitens hütet sie sich davor, im Massstab zu überborden und drittens wird das Messeerlebnis nicht krampfhaft organisiert, sondern man lässt es spontan geschehen.

Weil die Olma sich so sehr an den menschlichen Bedürfnissen – auch den alltäglichen – orientiert, hat sie die Akzentverschiebung von der landwirtschaftlichen zur konsumbezogenen Orientierung ohne weiteres geschafft.

Die Messe ist ursprünglich ein Kind der Anbauschlacht. Als sie während des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, beschäftigte die Sorge um das tägliche Brot. Heute geht es um die Frage, wie man mit den im Überfluss vorhandenen Produkten sinnvoll umgehen kann. Marktorientiert hat die Messe diesen Wechsel in der Fragestellung ohne weiteres mitvollzogen.

Der zweite Grund für den Erfolg liegt darin, dass weder Aussteller noch die Messe selbst je das Augenmass verloren haben. Viele Stände wirken auffallend kleinmassstäblich. Im Vordergrund steht nicht die Show, sondern das Gespräch am Stand. Man fühlt sich nicht wie in einer Mall oder einem Supermarkt. Der Gang durch die Hallen ist wie das Schlendern durch eine mittelalterliche Gasse.

Das führt zum dritten Pluspunkt: Zum Ereignis wird der Messebesuch durch das überraschende und oft auch zufällige Nebeneinander der Angebote: Hier werden die Schuhe geputzt, dort ein Fenster gereinigt und an den benachbarten Ständen der Rücken massiert, der Magen gefüllt, der Gesundheitstee degustiert oder ein Ratgeber konsultiert.

Nach der Messe zur Messe

Mit der 67. Durchführung scheint die Olma ein ansehnliches Alter erreicht zu haben. In Wirklichkeit ist sie auffallend jung.

Denn Messen gibt es seit dem 13. Jahrhundert. Angegliedert an ein Heiligenfest stillten sie nach der Messe im Dom die irdischeren Bedürfnisse der Menschen. Ricarda Huch nannte sie die «irdisch, nährende Quelle». 

Messen sind seit je das Erfolgsmodell des Marktes. Fach- und Supermarkt suchen etwas von ihrer Atmosphäre nachzubilden. Das Original werden sie nie erreichen.