«Der etwas andere Nachbrand»

Ein Artikel aus dem St.Galler Tagblatt vom 24. Oktober 2000 nach dem Brand der Halle 7 von Beda Hanimann

Paradies und Hölle

Die Akzeptanz des Befristeten

Das Herz der Olma

Glühwein mit Rauchgeschmack, witzelt einer im Bus, sei der neuste Renner an der OLMA. Es ist der Tag danach. Der Tag nach dem heissesten Abend in der Halle 7. Glück gehabt, der Brand brach wenige Stunden nach dem letzten Prost aus, nur Sachschaden also. Abschied von einer Halle, das haben wir, seit es die OLMA gibt, immer wieder erlebt. Freilich nie unter solchen Umständen. Und nie traf uns der Abschied so mitten ins Herz. Am Samstag noch klagte einer lachend von OLMA-Nachwehen: «Ich denke jedes Jahr, das sei langsam vorbei, und dann ziehts mich doch immer wieder in die Halle 7, und es ist jedes Mal wieder schön.» Auch wir St.Galler Journalisten kamen nicht drum herum, die Halle 7, das Phänomen, die Legende, das Herz der OLMA, jedes Jahr wieder in irgendeiner Weise zu würdigen. Wir tatens lustvoll, schöpften aus eigenen Erinnerungen: «Die Halle 7 lockt, und sie ist nicht gut und nicht schlecht. Sie ist.» Jetzt, im Oktober 2000, ist alles anders: Die Halle 7 ist nicht mehr.

Paradies und Hölle

Hätte es die Halle 7 nicht gegeben, man hätte sie erfinden müssen. Sie gehörte zur Stadt St.Gallen wie die Sozialen Dienste oder die Kehrichtabfuhr. Und sie war eine Mischung aus Paradies und Hölle. Wer von draussen kam, betrat eine andere Welt. Es war eine Überwindung, jedesmal, der Schritt in die rauchige, lärmige, enge Halle, und wissend lief man ins Verderben: Wenn einmal ein erstes Glas Bier getrunken, ein erster Bekannter einem über den Weg gelaufen – kurz: wenn man einmal drin war, dann war die Stadt ganz plötzlich in weiter Ferne, dann galten andere Gesetze. Die Zeit, zwischen fünf und sieben in der Halle 7 war keine gradlinig fortlaufende Linie mehr; sie sprang, blieb stehen, existierte nicht mehr. Orientierungshilfen waren nicht mehr, wie draussen im realen Leben, Strassen oder Plätze; die Geografie der Halle 7 bestand aus klingenden Namen, den Synonymen für Genuss und Savoir-vivre. Um halb sechs am Stadtbühler Stand, so lautete die Abmachung. Oder zu jeder vollen Stunde am Cynar-Stand. Man traf sich am Schützengarten-Stand, erinnerte sich gemeinsam an Vorjahres-Erlebnisse am Haubensak-Stand, träumte von der Begegnung mit einer rätselhaften Schönen am Landtwing-Stand oder hatte tags darauf reuevoll zu bilanzieren: Die paar Gläser Wein zuletzt bei Schachenmann haben mir das Genick gebrochen. Manchmal freilich wusste man das nicht mehr so genau.

Die Akzeptanz des Befristeten

Denn die Halle 7 war immer auch ein Vergessen. Ein Sich-gehen-Lassen. Was vorher gewesen war, war vorbei, was kommen würde, konnte warten. Und die Halle 7 war der Ort des legitimen Über-die-Stränge-Hauens. Eine Fixerstube für flüssige Drogenabgabe haben wir sie einmal genannt – ohne dass uns widersprochen wurde (von der OLMA-Direktion), ohne dass Sanktionen gefordert wurden (von der Suchtfachstelle). Die Halle 7, wie gesagt, war nicht gut und nicht schlecht, sie war einfach. Und sie war, das vor allem begründete den Mythos, jedes Jahr eine Art befristetes Experiment. Als Ganzjahresbetrieb hätte sie unweigerlich Schiffbruch erlitten. Das wäre gewesen, als hätte man jede Woche des Jahres Weihnachten feiern wollen. So war die Halle 7 also der tolerierte Sündenpfuhl inmitten der Stadt. Um sieben Uhr abends war Polizeistunde. Wer hätte da etwas sagen können?

Das Herz der Olma

Und tatsächlich war der Alkohol, war all das Gebrannte, Gebraute und Gekelterte vielleicht gar nicht ausschlaggebend für die Aura der Halle 7. Das Gedränge in dieser heimeligen Holzhütte abseits des realen Lebens, der Lärm, der aus tausend Kehlen kam, der Rauch, die Wärme, die Nähe von Frauen und Männern, die zufällig, gewollten, unumgänglichen Berührungen, all das vermittelte ein Wir-Gefühl, wie es die Stadt unterm Jahr kaum je erlebt. Das machte die Halle 7 zum Herzen der Messe, dessen Pulsschlag allen Energie gab. In der Halle 7 trafen sich Menschen; nicht Direktoren und Arbeiter, nicht Bauern und Bänkler, nicht Waschmaschinen-Spezialisten und Futtermittelhändler, sondern einfach Menschen.

Dass die Zapfhahnen der Halle 7 am Sonntag wieder abgehängt wurden, das wusste und akzeptierte jeder und jede. Eine Feuersbrunst hätte es nicht gebraucht. Aber es spricht für die Aura der Halle 7, dass der Brand ein Nachbrand, erst Stunden nach dem letzten Schluck, war: Die Halle-7-Gänger hatten, wie die Kinder, Spinner und Betrunkenen, ihren Schutzengel.